Montag, 1. Juli 2024

Veganismus – Back to The Roots

Wir haben großen Respekt vor Menschen, die auf den Konsum von Fleisch verzichten, ob sie sich jetzt vegan, lacto, ovo oder lacto-ovo vegetarisch ernähren. Diese Lebensweise erfordert Willensstärke und sendet eine Botschaft der Individualität an die Welt: Ich will anders sein, ich möchte es besser machen. Natürlich geht es vielen Veganern und Vegetariern zudem um das Tierwohl, was äußerst löblich ist. Aber auch, wenn dies nicht so wäre, beeindruckt die Grundeinstellung. 

My home is my castle - ist das stolze Motto der Engländer. Doch Veganer und Vegetarier gehen noch einen entscheidenden Schritt weiter: Sie selbst sind die letzte Bastion. Da läuft es einem in positivem Sinne kalt den Nacken runter. Wie in diesen amerikanischen Filmen, wenn Hauptdarsteller die Truppe zum Kampf rufen oder ihre Moralvorstellungen erläutern: Saving Private Ryan, Gladiator, Avatar, etc. Meist ernähren sich die Protagonisten dieser Filme jedoch nicht rein pflanzlich, selbst die Na’vi nicht, die ja Hollywoods Definition eines Naturvolks sind. Das liegt wohl daran, dass wir hierfür nicht konstruiert wurden. Deshalb erfordert eine rein pflanzliche Ernährung große Umsicht und Fachkenntnis, um Mangelerscheinungen zu vermeiden. 

Jahrhundertealte religiöse Traditionen werden häufig als Indiz dafür angeführt, dass die Vermeidung von Fleischkonsum nicht nur ethisch hochstehend ist, sondern auch gesundheitlich problemlos funktioniert. Ein prominentes Beispiel sind orthodoxe Hindus, wie die Brahmanen, Indiens Priesterkaste. Erste Zweifel an dieser Darstellung kamen in den 1970ern in England auf. Den dortigen Gesundheitsbehörden fiel damals auf, dass eine ungewöhnlich hohe Zahl orthodoxer Hindus einige Jahre nach der Übersiedlung ins Königreich an megaloblastärer Anämie litten, welche meist Folge von Vitamin B9- und B12-Mangel ist. Dies ohne Rücksicht auf ihren materiellen Wohlstand und ohne Veränderung ihrer Ernährungsgewohnheiten. Man stand vor einem Rätsel. Da die Engländer, anders als wir, im Gesundheitswesen gern auf belastbare und relevante Daten setzen, wurde eine wissenschaftliche Studie bestellt. Das Team schwirrte aus und führte landauf landab Interviews, nahm Lebensmittelproben, beschäftige Labore und recherchierte auch sonst, was so relevant erschien. 1975-76 lagen die Ergebnisse dieser Studie vor: Der Vegetarismus der Brahmanen war mehr Geisteshaltung als Ernährungsgewohnheit. In den Worten von Herbert Grönemeyer lautet die Frage: Wann ist ein Tier ein Tier?

Tatsächlich enthielt das Gemüse zuhause in Indien jede Menge nahrhafter Insekteneier und Larven, welche den kompletten Vitamin-B12-Bedarf, die Achillesferse einer strikt fleischlosen Ernährung, abdeckten. Das Problem in der neuen Heimat bestand darin, dass dieselben pflanzlichen Lebensmittel, welche nun in Supermärkten gekauft wurden, andere Produktions-, Reinigungs- und Verpackungsprozesse durchlaufen hatten. Die kleinen tierischen Begleiter waren darin nicht mehr oder nur noch in deutlich reduziertem Umfang vorhanden. Ähnliche Verhältnisse wie in Indien begünstigen den Vegetarismus wohl noch heute in Entwicklungs- und Schwellenländern. Auch hier bei uns haben im 18. und 19. Jahrhundert die Anhänger dieser Bewegung profitiert. Edeka, Rewe, Aldi, Alnatura & Co. haben inzwischen natürlich eine neue Zeitrechnung eingeläutet. Heutzutage erfolgt die Synthese von Vitamin-B12, auch Cobalamin genannt, mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen. Das Vitamin ist ein weit verbreitetes Nahrungsergänzungsmittel und wird Fitnessgetränken, Cornflakes sowie Säuglingsnahrung zugesetzt. Zudem beruhigt es zu wissen, dass schon zwei Liter Bier, ein Sechserträger also, für den Tagesbedarf ausreichen. Trotz all dieser erfreulichen Lösungen wirft der Vorgang ein anderes Licht auf die lange Tradition vegetarischer Ernährung. Emotionslos betrachtet geht es auch beim Veganismus nicht um eine rein pflanzliche Ernährung, sondern eher darum, Organismen zu essen, die möglichst klein sind. Dies ist ressourcenschonend, umweltfreundlich und hilft im Idealfall, ideologisch geprägte Diskussionen zu vermeiden. Aber gut.

Menschen, die auch Fleisch essen, inspiriert am Vegetarismus ohnehin etwas anderes: Die Entscheidung, konsequent auf kleinerem Fuß zu leben; in Bezug auf Fleisch sogar in völliger Askese. Es gibt einen Film, der dieses Motiv aufgreift, Downsizing, mit Matt Damon und einem unvergleichlichen Christoph Waltz. Der Film ist leider nicht besonders gut, aber er regt zum Nachdenken an. Leute unterziehen sich dort einem unappetitlichen Prozess der physikalischen Verkleinerung, um die Welt mit ihrem geringeren Ressourcenverbrauch zu entlasten. Obwohl Vegetarier darin keine Rolle spielen, erinnert die Grundhaltung sehr an ihre Bewegung. Der Film drückt etwas Heroisches aus, das auch in jedem Veganer und Vegetarier steckt. Zudem ist dessen Kernbotschaft - Aus Weniger Mehr machen - natürlich unabhängig von der Körpergröße richtig.

Die Ernährungswissenschaften haben Mangelerscheinungen in Folge einer fleischlosen Ernährung inzwischen ausführlich analysiert und entschärft. Auch in Verbindung mit intensivem Fitnesstraining kann auf eine weitgehend pflanzliche Ernährung gesetzt werden. Somit bleibt einer der wenigen Kritikpunkte an dieser Ernährungsform der nicht selten mit ihr einhergehende Missionierungswille: Nicht nur ich will besser sein, sondern auch Du sollst besser sein. Dieser Standpunkt wäre ja noch in Ordnung, wenn der Mensch eigentlich für eine rein pflanzliche Ernährung geschaffen wäre. Der Konsum von Fleisch also eine Fehlentwicklung, so wie der von Energydrinks. Dem ist aber mitnichten so. Hinzu kommt, dass diese Einstellung eine der schönsten und glorreichsten Traditionen der Menschheit gefährden kann, das gemeinsame Essen.

Wir hoffen im Interesse aller Beteiligten, dass solch extreme Nebenwirkungen dieser bewundernswerten Lebensweise die Ausnahme bleiben. Kommt es aber dennoch hin und wieder dazu, dann empfehlen wir einen gemeinsamen Besuch im Fitnessclub. Dort geht es nicht darum, wie die Kilos auf die Rippen kommen, sondern wie man sie wieder los wird. 


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